Gut besuchter Online-Vortrag zum BVerfG-Urteil:
Im Mai 2025 hat unsere Kanzlei eine gutachtliche Stellungnahme zur Rechtslage beim Notenschutz für Schülerinnen und Schüler mit Legasthenie am Beispiel NRW erstellt. Rechtsanwältin Sibylle Schwarz, unsere Expertin im Bildungsrecht, präsentierte die Ergebnisse am 14. Mai in einem Online-Vortrag vor rund 270 Teilnehmenden aus ganz Deutschland.
Legasthenie vs. Lese-Rechtschreibschwäche
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 22. November 2023 (1 BvR 2577/15) eine wichtige Unterscheidung getroffen: “Legasthenie” bezeichnet eine medizinisch messbare neurobiologische Funktionsstörung im Gegensatz zu einer “Lese-Rechtschreibschwäche” ohne Krankheitswert, die durch schulische Förderung erfolgreich behandelt werden kann. Diese Differenzierung ist entscheidend, da Legasthenie als Behinderung im Sinne des Grundgesetzes anzusehen ist und sich nicht “wegüben” lässt.
Verfassungsrechtliche Grundlagen
Besondere Bedeutung kommt dem 1994 in das Grundgesetz aufgenommenen Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz zu: “Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.” Dieses Grundrecht enthält sowohl ein Benachteiligungsverbot als auch ein Fördergebot.
Widersprüche in der NRW-Schulgesetzgebung
Der dortige LRS-Erlass erfasst nicht Schülerinnen und Schüler mit einer medizinisch diagnostizierten Lese-Rechtschreibstörung und in der Sekundarstufe II findet er schon gar keine Anwendung mehr. Unsere gutachtliche Stellungnahme zeigt auf, dass Schülerinnen und Schüler mit der Behinderung Legasthenie nicht adressiert werden, zudem erhebliche Widersprüchlichkeiten in den schulrechtlichen Regelungen in NRW. Diese Lücke und die darüber hinaus unklare Rechtslage führen zu großer Unsicherheit bei Lehrkräften und Betroffenen.

Gesetzgebungsverfahren
Die gutachtliche Stellungnahme wurde auch im März in die Anhörungen des Ausschusses für Schule und Bildung eingebracht. In Nordrhein-Westfalen befindet sich ein Schulrechtsänderungsgesetz im Gesetzgebungsverfahren.
Für Nordrhein-Westfalen bedarf es dringend eines widerspruchsfreien Regelungssystems, das auch die Sekundarstufe II einschließt und den Bedarfen von Schülerinnen und Schülern mit der Behinderung Legasthenie gerecht wird.
Fazit
Mit Blick auf die BVerfG-Entscheidung kommt unsere Stellungnahme zu dem Schluss:
“Wenn eine Bemerkung im Abschlusszeugnis über eine Nichtbewertung verfassungsrechtlich geboten ist, dann kann doch die der Bemerkung zugrundliegende Nichtbewertung nicht gänzlich unrechtmäßig sein.”
Download
Die vollständige gutachtliche Stellungnahme ist auf den Webseiten des Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie e.V. und des Landesverband Legasthenie und Dyskalkulie Nordrhein-Westfalen abrufbar. Eine Linkliste zu den Vorschriften in den Bundesländern und weitere Informationen zu den Gerichtsentscheidungen werden in Kürze dort veröffentlicht werden.
