20. Mai 2025

Gutachtliche Stellungnahme zu Notenschutz bei Legasthenie

Gut besuchter Online-Vortrag zum BVerfG-Urteil:   
Im Mai 2025 hat unsere Kanzlei eine gutacht­liche Stellung­nahme zur Rechtslage beim Noten­schutz für Schüle­rinnen und Schüler mit Legasthenie am Beispiel NRW erstellt. Rechts­an­wältin Sibylle Schwarz, unsere Expertin im Bildungs­recht, präsen­tierte die Ergeb­nisse am 14. Mai in einem Online-Vortrag vor rund 270 Teilneh­menden aus ganz Deutschland.

Legasthenie vs. Lese-Recht­schreib­schwäche
Das Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt hat in seinem Urteil vom 22. November 2023 (1 BvR 2577/15) eine wichtige Unter­scheidung getroffen: “Legasthenie” bezeichnet eine medizi­nisch messbare neuro­bio­lo­gische Funkti­ons­störung im Gegensatz zu einer “Lese-Recht­schreib­schwäche” ohne Krank­heitswert, die durch schulische Förderung erfolg­reich behandelt werden kann. Diese Diffe­ren­zierung ist entscheidend, da Legasthenie als Behin­derung im Sinne des Grund­ge­setzes anzusehen ist und sich nicht “wegüben” lässt.

Verfas­sungs­recht­liche Grund­lagen
Besondere Bedeutung kommt dem 1994 in das Grund­gesetz aufge­nom­menen Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grund­gesetz zu: “Niemand darf wegen seiner Behin­derung benach­teiligt werden.” Dieses Grund­recht enthält sowohl ein Benach­tei­li­gungs­verbot als auch ein Förder­gebot.

Wider­sprüche in der NRW-Schul­ge­setz­gebung
Der dortige LRS-Erlass erfasst nicht Schüle­rinnen und Schüler mit einer medizi­nisch diagnos­ti­zierten Lese-Recht­schreib­störung und in der Sekun­dar­stufe II findet er schon gar keine Anwendung mehr. Unsere gutacht­liche Stellung­nahme zeigt auf, dass Schüle­rinnen und Schüler mit der Behin­derung Legasthenie nicht adres­siert werden, zudem erheb­liche Wider­sprüch­lich­keiten in den schul­recht­lichen Regelungen in NRW. Diese Lücke und die darüber hinaus unklare Rechtslage führen zu großer Unsicherheit bei Lehrkräften und Betrof­fenen.

Gesetz­ge­bungs­ver­fahren
Die gutacht­liche Stellung­nahme wurde auch im März in die Anhörungen des Ausschusses für Schule und Bildung einge­bracht. In Nordrhein-Westfalen befindet sich ein Schul­rechts­än­de­rungs­gesetz im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren.

Für Nordrhein-Westfalen bedarf es dringend eines wider­spruchs­freien Regelungs­systems, das auch die Sekun­dar­stufe II einschließt und den Bedarfen von Schüle­rinnen und Schülern mit der Behin­derung Legasthenie gerecht wird.

Fazit
Mit Blick auf die BVerfG-Entscheidung kommt unsere Stellung­nahme zu dem Schluss:

“Wenn eine Bemerkung im Abschluss­zeugnis über eine Nicht­be­wertung verfas­sungs­rechtlich geboten ist, dann kann doch die der Bemerkung zugrund­lie­gende Nicht­be­wertung nicht gänzlich unrecht­mäßig sein.”

Download
Die vollständige gutacht­liche Stellung­nahme ist auf den Webseiten des Bundes­verband Legasthenie & Dyskal­kulie e.V. und des Landes­verband Legasthenie und Dyskal­kulie Nordrhein-Westfalen abrufbar. Eine Linkliste zu den Vorschriften in den Bundes­ländern und weitere Infor­ma­tionen zu den Gerichts­ent­schei­dungen werden in Kürze dort veröf­fent­licht werden.